„Fiber Art war eine Moderne, die durch ihren eigenen Prozess geschützt wurde.”
„Fiber Art war eine Moderne, die durch ihren eigenen Prozess geschützt wurde.” Im Jahr 1998 veranschaulichte die Kunsthistorikerin Catherine S. Amidon ein entscheidendes Argument für das Verständnis und die Kontextualisierung von Pionierinnen und Pionieren osteuropäischer Textilkunst. Mit einem Fokus auf die 'Polnische Schule der Textilkunst' und einer ihrer prominentesten Vertreterinnen, Magdalena Abakanowicz, erlaubt es, Verbindungen zu weiteren – international weniger rezipierten – polnischen Textilkünstlern wie Abakanowicz‘ Kolleginnen und Kollegen Jolanta Owidzka (geb. 1927, gest. 2020), Zofia Butrymowicz (geb. 1904, gest. 1987) und Wojciech Sadley (geb. 1932, gest. 2023) zu ziehen. Darüber hinaus eröffnet das Argument auch Perspektiven auf weitere osteuropäische Textilkunstinnovatoren wie die Rumänen Ritzi und Peter Jacobi (geb. 1941, gest. 2022; geb. 1935), Klara Biro Jecza (geb. 1937, gest. 2011) und Magda Ziman (geb. 1942, gest. 2003) sowie ferner Christa Jeitner (geb. 1935); einer Künstlerin, die ihre schöpferische Praxis in der ehemaligen DDR außerhalb staatspolitischer Setzungen entwickelte.
Durch den Umgang mit dem textilen Medium – das, obschon mit dem Begriff eines folkloristischen, dekorativen Handwerks aufgeladen, gleichzeitig durch eben diesen Begriff geschützt wurde – gelang es den Künstlerinnen und Künstlern, die vor allem für die Malerei geltenden Setzungen ihrer kommunistischen Regime zu unterlaufen. Die Beschäftigung mit dem Faden öffnete Raum für ästhetische Interventionen und Experimente mit modernistischen abstrakten Tendenzen durch bildnerische Instanzen wie Material, Technik, Form und Farbe. Unmittelbar aus dem textilen Material sowie der Vielfalt textiler Techniken – einschließlich Weben, Sticken oder Knüpfen – geschöpft, fungierte das Textil als Vehikel für einen transmedialen künstlerischen Ausdruck. Ausgehend von dieser Kontextualisierung spürt die Gruppenausstellung dem titelgebenden gemeinsamen Faden innovativer Ansätze osteuropäischer Textilkunst nach. Beginnend in den 1960er Jahren treten die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler in einen vielschichtigen Dialog.
Während die kunsthistorisch prominent skizzierte skulpturale Dimension reliefartiger und plastischer Kunstformen in den Positionen von Wojciech Sadley, Ritzi und Peter Jacobi oder Małgorzata Żerwe (geb. 1954) neu verhandelt wird, zielt die Präsentation darauf ab, auch die zeichnerischen und malerischen Qualitäten des Textilen hervorzuheben. So erwecken die farbintensiven, expressiven Tapisserien von Jolanta Owidzka den Eindruck einer unmittelbaren malerischen Geste, während die figurativen Referenzen in Zofia Butrymowicz' Kunstwerken sich in scheinbar fließenden Farbverläufen aufzulösen scheinen. Beide Positionen schöpfen jedoch aus den Bedingungen und der Raffinesse des jeweils verwendeten Webmaterials sowie der Webtechnik. Für Künstlerinnen und Künstler wie Klara Biro Jecza sowie Ritzi und Peter Jacobi dient die zeichnerische Qualität der Linie nicht nur als vorbereitender Schritt zu reliefartigen Textilkunstwerken, sondern ist konstitutiv für ihre Komposition; wie dies ebenso umgekehrt gilt. Ritzi Jacobi – die später alleine künstlerisch tätig ist – kehrt letztlich die vermeintliche Chronologie einer vorausgehenden Papierskizze um, indem sie das Papier selbst prominent als textile 'weiche Zeichnung' inszeniert. Das Verständnis von Faser und Faden als Möglichkeiten des Malerischen, des Zeichnerischen und des Skulpturalen prägt auch das Werk von Christa Jeitner, was sich zusätzlich in den Bezeichnungen ihrer Techniken widerspiegelt: 'Schnürwerk' oder 'Maschinennahtzeichnung' sind nur einige der Wortschöpfungen, die sie kreiert, um die transmediale Dimension des Fadens zu fassen. Die dem Textil innewohnende Eigenschaft, zwischen verschiedenen Sphären des künstlerischen Ausdrucks sowie unterschiedlichen künstlerischen Narrativen zu vermitteln, fasst unweigerlich seine Dimension als Träger von Inhalt und Bedeutung. Für Christa Jeitner sind dies oft Themen rund um Ereignisse der Shoah; eine Begegnung mit dem Unsagbaren, die eine empathische und insbesondere sinnliche Rezeption provoziert. Der Fokus auf eine unmittelbare, sinnliche Wahrnehmung ist maßgeblich für avantgardistische Textilkunst, die – befreit von ihrer handwerklich-dekorativen Konnotation – in dem spezifischen Ausdruck ihrer Materialität zu Tage tritt; einem Ausdruck, der in der Gruppenausstellung Common Threads erlebbar wird.
Claudia Kudinova, September 2024